Manchmal bin ich stolz


Und gerade meine ich nicht dieses überlegene, hochtrabende und hochnäsige stolz sein, sonder das stolz sein, in welchem man einfach glücklich über sich selbst ist. 

Es wissen bestimmt die meisten, dass ich letztes Jahr irgendwie so ne schwierige Phase hatte.

In der ich nicht mehr da sein wollte. Mich selbst verletzen wollte. Mich selbst nicht verstanden habe. Plötzlich von unbändiger Wut durchflutet wurde auf alles und jeden. Und einfach nicht mehr im Leben zurecht kam.

 

Denn irgendwie war mir mein Lebenssinn abhanden gekommen, dadurch, dass mein Glaube massiv angefochten wurde und mir so der Teppich auf dem ich eben noch gestanden hatte brutal unter den Füßen weggerissen wurde.

 

Eigentlich bin sehr eigenständig, ambitioniert, leicht zu begeistern, mach gern was mit Leuten, bin extrovertiert und in fast allem erstmal interessiert.

Irgendwann hab ich festgestellt: Fuck. Ich hab keinen Bock mehr auf Menschen. 

Mich laugt das mega aus bei ihnen zu sein, sich mit ihnen zu unterhalten und ich will nicht wissen, was sie mir erzählen möchten.

Und das war eines meiner liebsten Interessensgebiete gewesen, seit anno dazumal: Menschen. In Gänze. Ich liebte das einfach mich mit ihnen zu umgeben, von mir zu erzählen, ihnen zuzuhören und mich mit ihnen auseinanderzusetzen auf verschiedensten Ebenen. 

Und plötzlich war das nicht mehr da.

 

Zusätzlich, dass mir mein Glaubensteppich weggezogen worden war.

 

Und meine Schwester in der Stationären eingeliefert worden war wegen Suizidgedanken.

 

Und dann war ich mir meiner Beziehung auf einmal nicht mehr sicher.

 

Und das alles innerhalb einiger Monate und ich hab mich nicht mehr wiedererkannt.

 

 

Ich fühlte mich wie kurz nach dem freien Fall. Und kurz vor dem Aufprall. In dem Moment wo man schon die Schmerzen hat, obwohl sie noch nicht da sind.

Ich konnte tagelang das Haus nicht verlassen, am längsten glaube ich waren es 9 am Stück und ich hatte auf nichts Lust, fand keinen Halt und Unterstützung in dieser Zeit war zwar nicht rar, aber sie war nie so, wie ich sie in diesen Moment gebraucht hätte.

 

Und dann war ich da. Irgendwie allein, weil mir niemand helfen konnte, bzw. die Menschen von denen ich es gedacht hatte, wollte nicht, und die Menschen die wollten, konnten nicht.

Und ich konnte mir selbst auch nicht so recht helfen.

Dachte ich.

 

Und dann baute ich mir Systeme auf.

 

Ich wollte mich selbst verletzen. Und hab es nicht getan.

Mit der Hilfe meiner WG und meines Freundes. Und meiner Selbst.

 

Ich habe schnell verstanden, dass das zu viel Last ist für die eben genannten und mir recht schnell eine Therapie-Überweisung geben lassen und mich auch komplett selbstständig um einen Termin und einen Platz gekümmert. Darüber bin ich stolz.

 

Ich habe versucht meine Hände in solche Momenten unter Kontrolle zu haben und habe viel Geschirr gespült und konnte mich daher nicht verletzen und sogar den Kopf frei bekommen, weil eben die Hände etwas zu tun hatten. Darüber bin ich stolz.

 

Ich habe in sehr kritischen Momenten mich aus der Küche mit den gefährlich scharfen Messern ferngehalten und meinen Mitbewohnern eben diese auch zur Aufbewahrung gegeben und sie haben nicht ekelhaft nachgefragt. Darüber bin ich dankbar und stolz.

 

Ich habe die Therapie begonnen und mir gesagt, dass ich krank bin. Ob depressive Symptome als eine Krankheit gelten oder nicht, ist mir egal. Man kann es sagen und ich habe festgestellt, dass mir Strukturen gut tun. Die Struktur mir zu sagen, dass ich krank bin und es anderen mitzuteilen hat mir sehr geholfen, genauso wie einen Teil der Verantwortung an die Therapeutin abzugeben. Über diese Erkenntnis bin ich stolz.

 

Ich habe festgestellt, dass ich offen mit Menschen und als ganz normales Alltagsthema über mein Empfinden reden kann, sowohl mit Freunden, Kommilitonen, Verwandten, Bekannten als auch Dozenten und sie alle haben bis jetzt keine Anstalten gemacht mich von sich zu weisen, oder übertrieben zu reagieren. Sie sind einfach wundervolle Menschen und ich hatte und habe den Mut transparent zu sein, auch wenn es manchmal einfach ätzend ist, aber darüber bin ich stolz! Es soll kein Tabuthema sein!

 

Ich hatte den Mut nach Ablenkung zu suchen und zu fragen und meine Mitbewohner haben mich angenommen, wie ich bin, und ihre Zeit mit mir geteilt. Darüber bin ich unendlich dankbar und stolz.

 

Ich habe versucht zu verbalisieren, was mit mir los ist und Menschen haben mir geholfen es auszudrücken. Darüber bin ich dankbar und stolz.

 

Ich habe versucht ein Gleichgewicht zwischen 'ich gebe dir Liebe' und 'ich brauche Liebe' in meiner Beziehung in diesen schwierigen Zeiten aufrecht zu erhalten. Und bin so dankbar, dass mein Freund so wundervoll ist, denn es ist mir oft nicht gelungen. Ihm dafür umso mehr.

 

Ich habe im Flur geschlafen, als mein Freund nicht in der Wohnung war, um mich anderen Mitbewohnern näher zu fühlen und mich dadurch sicher zu fühlen. Oder mit offener Tür und angeschaltetem Flurlicht zu schlafen. Und bin stolz darauf diese Möglichkeit gefunden zu haben.

 

Ich habe angefangen meinen Körper anzunehmen. Ihn mehr zu beachten und selbst lieben zu lernen und ihm Komplimente auszusprechen. Ich habe ihn mit sehr wohlriechenden Ölen massiert, damit ich mich in meiner Haut und in meinem Kopf wohlfühlen kann. Und bin stolz darüber.

 

Ich bin viel Fahrrad gefahren und habe Musik gehört, weil man seinen Körper auch überlisten kann und bin stolz darauf.

 

Ich habe Filme und Serien geschaut, Bücher gelesen die mir gut taten, die ich schon kannte. Und bin sehr stolz darauf eben solche zu kennen und einsetzen zu können.

 

Ich habe Streams entdeckt und die Regelmäßigkeit, Freundlichkeit, das seelische Aufgefangenfühlen in ihnen und wie gut mir das tut. Ich bin vor allem staiy für ersteres sehr dankbar. Sowie HOB, für seine Videos, auch für solche, die schon länger draußen sind, weil sie mir Stabilität gegeben haben. Und ich bin stolz, dass ich das reflektieren konnte.

 

Und ich bin stolz, dass ich meinen Glauben wieder aufbauen konnte. Ganz anders, viel weniger klar, aber in einem 'ich kann hier sein'-Gefühl. Und bin stolz, dass ich meine Dozenten in meine Problematiken eingeweiht habe, bzw. einen, der mir viel Mut mitgegeben hat und eine andere Sichtweise. Mit dem ich diskutieren konnte und kann und der mir durch seine Seminare und Vorlesungen hilft wieder einen Teppich unter meine Füße zu bekommen.

 

Ich bin so stolz auf mich, dass ich nur noch selten zu Hause bleiben muss. Und manchmal vor Wut nicht einschlafen kann. Und manchmal keine Referate frühzeitig vorbereiten kann, weil mein Gehirn sich nur in eine Verzweiflung steigern will und dann nicht lesen kann.

 

Es ist noch nicht ausgestanden, ich weiß noch nicht, wo es tatsächlich herkam und warum es immer noch da ist, diese ganze Scheiße, und meine Therapeutin steht auch vor einem Rätsel. Aber ich bin stolz, dass ich soweit damit umgehen konnte und kann und ich bin auch so dankbar für diese Möglichkeiten und Personen.

 

Und ich wollte mir das hier mal vor Augen führen und mir nochmal Mut zusprechen.

Dass ich gut bin.

Dass ich Dinge kann.

Dass ich nicht scheiße bin, nur weil ich manchmal nicht funktioniere, so wie ich das gerne hätte.

 

Und ganz vielleicht, kann es noch jemandem helfen, oder zumindest die Augen öffnen.

 

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