"Tonight maybe we're gonna run" singt mir Chris Martin ins Ohr.

Wer ist das 'wir'?

Hab ich gerade ein 'wir'?

Ab wann beginnt ein 'wir'?

In Sozi lernt man was über Wir und Ihr-Gruppen. Aber das ist nicht gemeint.

Beginnt es bei einer Vorstellung? „Hallo ich bin soundso, und du?“. Namen verbinden.

Reicht das schon aus, um sich als 'wir' zu fühlen? Sicher, bei einigen Sachen, aber würde ich mit dieser Person durch die Nacht rennen, in der Verbundenheit, die mir das Lied erklärt?

Reicht es sich ein bisschen unterhalten? Reicht es aus einige Tage miteinander zu verbringen? Reicht es Zärtlichkeiten und Komplimente auszutauschen? Reicht es die Lippen des anderen zu berühren, miteinander zu lachen, nebeneinander einzuschlafen und über Probleme zu reden? Reicht es, aus demselben Glas zu trinken, zusammen zu singen und albern zu sein, zu diskutieren und Schwächen zuzugeben? Reicht es Nächte lang wach zu sein, um sich aneinander festzuhalten? Reicht es stundenlang zusammen aus dem Fenster zu sehen, zu beobachten, zu reden, zu schweigen, zu hören, zu lauschen, zu spielen miteinander? Reicht es aus Klamotten auszutauschen, gemeinsam Filme anzusehen, sich ehrlich die Meinung zu sagen? Reicht es sich Gefallen zu tun, sich anzusticheln und aufzuhelfen, wenn man gestolpert ist? Reicht es, sich die Haare aus der Stirn zu streichen, sich gegenseitig zu beobachten, Gemeinsamkeiten zu entdecken und kritisch zu reflektieren? Reicht es zusammen Musik zu hören, ins Kino zu gehen, in der S-Bahn zu sitzen, sich tief in die Augen zu sehen? Nein.

Das einzige was ‚wir‘ schaffen kann ist Vertrauen. Nur wenn ich jemandem Vertrauen entgegenbringen kann renne ich mit dieser Person durch die Nacht. Ich fürchte mich im Dunkeln. Überall sehe und spüre ich die Häscher der Panik. Löcher vor, Klauen hinter mir. Gelächter neben und tonnenschwerer, bedrohlicher Druck über mir. Wenn ich meinen Mut mit deinem verbinden kann, deine Hand halten kann, dir in die Augen sehen kann und spüre wie ich meinen eigenen letzten Schluck an Durchhaltevermögen an dich abtrete, weil du noch weniger hast als ich, dann können wir gleichzeitig losrennen. Denn das Leben ist Nacht, unten oben und hässlich schön.