Das kleine Haus

Sie hatten mittlerweile ein ganz ähnliches Ritual entwickelt. In ihrer Stunde kam Sepuri fast täglich zu Saruma, um sie anzuschauen.

Ganz der neuen Tradition folgend fragte er zur Begrüßung: „Na? Hält sie immer noch daran fest?“ und ebenso traditionell antwortete Saruma: „Wie siehts denn aus?“ und lächelte ihn dankbar an.

Es war die schwierigste Stunde des Tages für sie und sie war für jede seelische Unterstützung dankbar.

Sepuri setzte sich neben sie auf die Holzbank und sie beobachteten zusammen Sarumas Tochter. Sie stand wie immer eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang einige Schritt weit im Weizenfeld und schaute nahezu regungslos nach Nordwesten. Heute hatte sie ein schwarzes Oberteil an, das unter der Brust leicht zusammengeschnürt war. Die Ärmel waren lang und trichterförmig, sodass man nur bei genauem Hinsehen ihre weichen, wenn auch von der Arbeit dreckigen Hände sehen konnte. Ihr rotes wildes Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten gebunden. Sepuri wurde bei ihrem Anblick jedes Mal schwer ums Herz, denn er bemerkte immer den Kummer und zeitgleich die Hoffnung in ihrem Blick.

„Ich frage mich, warum sie ihm das versprochen hat. . .“, sagte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Saruma drehte ihm ihren Kopf zu und legte ihn leicht schräg. Der Ton ihrer Stimme hatte einen leichten Klang von Stolz und Spott in sich, kaum merklich für Menschen, die sie nicht so gut kannten, als sie ihm antwortete: „Es gibt ihrem Bruder Kraft. Sie haben, als sie Kinder waren oft auf ihren Vater gewartet, wenn er draußen bei den Herden war, meist um diese Zeit, damit er ihnen noch vor dem Einschlafen Geschichten erzählen konnte. Voll Sehnsucht standen sie dann im Feld und auch wenn er sich bis nach dem Sonnenuntergang verspätete, wollten sie nicht ins Haus kommen.“ Sie machte eine Pause. Der Verlust ihres Mannes hatte auch nach fünf Jahren noch einiges schmerzendes an sich. „Das ist aber nur ein Grund, warum sie ihm dieses Versprechen gegeben hat. Diese Erinnerungen an die Kindheit sind doch sehr tröstlich, wenn man so weit von der Heimat seine Kraft in Andere investiert. Aber sie konnte ja schon immer gut mit Menschen umgehen, deswegen weiß sie, dass es ihm nur nützt, wenn er auch glaubt, dass sie täglich an ihn denkt. Und da sich diese beiden noch nie angelogen haben, wird sie auch jeden Tag hier stehen, egal bei welchem Wetter und ihm so Hoffnung, Kraft und Liebe geben. Auch wenn sie soweit voneinander entfernt sind.“

„Weißt du Saruma. . . Du und Wilrich, ihr habt euch immer nur als einfache Bauersleute gesehen. Natürlich war Wilrich in seinen frühen Jahren ein Reisender, aber wenn man dir so zuhört, und sieht, was aus euren Kindern geworden ist, dann kann man auch als Gelehrter, wie ich, sich die Frage stellen, woher ihr so viel Weisheit habt. Mögen die Götter weiterhin auf euch Dreien ihren Segen regnen lassen.“

 

 

Schweigend saßen sie auf der Bank vor dem kleinem Haus, noch bis nach Sonnenuntergang.

Das kleine Haus.